21.09.2018 | 11:28 | welt retten | 1 kommentar
Eine Freundin von mir hatte gestern ihren ersten Gerichtstermin vor einem ländlichen Landgericht. Ich durfte sie begleiten und habe nachfolgend alle Namen geändert.
In dem Fall ging es um einen Betrug. So würde ich das sehen, als Laie. Oder besser gesagt, als Erfahrungsjurist. Konkret hatte meine Freundin ein Telefon gekauft. Ein Smartphone. Soweit, so unspektakulär. Allerdings wollte sie gern ein besonders sparsames Smartphone haben. Am liebsten ein faires Smartphone. Also eins, das nicht bei Foxconn produziert wird, sondern möglichst in Deutschland. Oder doch in Europa. Eins, das mit besonders wenig Strahlung auskommt. Und eins, das besonders wenig Strom verbraucht. Sie hat sich lang und breit mit dem Thema auseinandergesetzt und dann ihre Wahl getroffen. Der ausgewählte Hersteller machte einen soliden Eindruck und warb geradezu aggressiv mit dem Thema Emissionsarmut.
Der Händler hat ihr das gewählte Smartphone geliefert. Sie war auch sehr zufrieden damit. Doch kurze Zeit nach dem Kauf wurde bekannt, dass der Smartphonehersteller gar nicht fair produziert. Er setzt eine Software in dem Smartphone ein, welche die Strahlungswerte bei den Prüfungen manipuliert. Das Smartphone erkennt, wann es geprüft wird und nur in diesem Fall, setzt es die Strahlungswerte herunter. Dies war nur möglich, da das Testverfahren seit Jahren standardisiert abläuft und so durch Software leicht erkannt werden kann. Telefoniert man ganz normal damit, entstehen weit höhere Strahlungswerte als gesetzlich erlaubt. Das Smartphone hätte gar nicht für den deutschen Markt zugelassen werden dürfen, da es die Grenzwerte nicht einhält.
All dies wurde also bekannt, es gab einen gesellschaftlichen Aufschrei. Das perfide an der Strahlung ist nämlich, dass sie Menschen tötet. Jährlich sterben allein 38.000 Menschen in Deutschland, weil die Smartphonehersteller die Grenzwerte nicht einhalten. Es gab einen Smartphonegipfel, bei dem Industrie und Politik aushandelten, dass ein Softwareupdate helfen würde. Alle Smartphonebesitzer sollten sich nun das Softwareupdate herunterladen. Das Problem am Softwareupdate aber ist, dass dieses das Problem nicht löst. Es reduziert zwar die Strahlungswerte, aber nicht in dem Umfang, wie nötig, um die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten. Die Strahlungswerte wären danach immer noch weit von den beworbenen Werten entfernt. Zudem hätte es negative Konsequenzen in Bezug auf den Stromverbrauch und den Verschleiß des Smartphones.
Also beschloss meine Freundin vor Gericht zu gehen und Schadensersatz einzufordern und da war sie nun.
Ihr Anwalt war ein Mann mit vollem Vollbart. Ich erwähne das hier nur, weil es nachfolgend noch eine Nebenrolle spielt. Sie saßen schon eine Weile vorm Gerichtssaal, als der Richter mit 10 Minuten Verspätung auftauchte. Er schloss grußlos den Saal auf und machte eine Geste, die den Anwesenden bedeutete, einzutreten. Er hatte eine junge Frau im Schlepptau, die ihm die Akten trug.
Als alle an ihren Plätzen saßen, nahm der Richter sein Diktiergerät zur Hand und murmelte unmotiviert hinein ‚… heute erschienen die Klägerin, Frau Müller, persönlich, sowie ihr Anwalt, Herr Türlü, sowie die Anwältin der Beklagten…‘. Er ließ den Diktierknopf los und fragte die Anwältin der Gegenseite barsch: ‚Wie heißen Sie?‘
Die Anwältin der Gegenseite war jung, noch keine 40. Sie antwortete: ‚Frau Zietler.‘
Er: ‚Wie?‘
Sie: ‚Zietler‘
Er: ‚Das hab ich nicht verstanden.‘
Sie: ‚Zietler. Z – I – E – T – L – E – R.‘
Er drückte den Diktierknopf: ‚Frau Ziege.‘
Sie: ‚Nein. Zietler. Z – I – E – T – L – E – R.‘
Er: ‚Wie?!‘
Sie noch lauter: ‚ZIETLER! Z – I – E – T – L – E – R.‘
Er spulte zurück: ‚Frau Zietel.‘
Sie: ‚Nein. Mit L – E – R am Ende. ZietLER.‘
Er spulte zurück: ‚Frau ZietLÄHR. Murmelmurmelmurmel sowie die Anwältin der Klägerin, Türlü.‘
Der Anwalt meiner Freundin: ‚Der AnWALT.‘
Er spulte zurück: ’sowie die Anwält-ähäm, der Anwalt der Klägerin, Türlü.‘
Dann blieb das Diktiergerät aus.
Er: ‚Ich erzähle Ihnen jetzt mal, wie das hier läuft.‘
Meiner Freundin war jetzt schon klar, wie das hier laufen würde.
Er: ‚Unabhängig von der heutigen Entscheidung wird Berufung eingelegt, der Fall landet vorm Oberlandesgericht. Dort sind die Richter derart überlastet, dass niemand die Akten lesen wird. Zwei Tage vor Verhandlungsbeginn wird es eine außergerichtliche Einigung mit Stillschweigevereinbarung geben. Es gibt kein Urteil. Daher gibt es hier kein richtig oder falsch.‘
Meine Freundin dachte – doch – schon. Es gibt hier ein Richtig und auch ein Falsch. Und rate mal, auf welcher Seite Du stehst.
Er: ‚Es gibt Richter die geben den Klagen statt. Und es gibt Richter, die weisen die Klagen ab. Ich gehöre zu den Richtern, die die Klagen immer abweisen.‘
Er hielt ein Dokument hoch.
Er: ‚Sie bekommen die Urteilsbegründung per Post zugeschickt.‘
Damit war der Fall für ihn nach 3 Minuten erledigt.
Da niemand Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, sondern sich im Gegenteil alle anschickten, wieder aufzustehen, hakte meine Freundin nach: ‚Wie begründen Sie die Abweisung der Klage?‘
Der Richter war etwas überrascht, dass eine Frau es wagte in seinem Gerichtssaal die Stimme zu erheben. Er fing sich aber schnell.
Er: ‚Frau Müller, Sie haben das Smartphone erst seit kurzem. Es ist ein neues Gerät! Es telefoniert!‘
Sie denkt sich – darum geht es doch gar nicht?
Er: ‚Ich habe viele Bekannte, die Smartphones von demselben Hersteller benutzen, wie Sie. Ich habe sie alle gefragt und KEINER von ihnen hat ein Problem mit seinem Smartphone. Es besteht kein Schaden! Sie können doch telefonieren!‘
Sie lachte laut auf.
Er: ‚Dass Sie mit dem Urteilsspruch nicht zufrieden sind, kann ich mir vorstellen.‘
Ihr Anwalt: ‚Aber das Smartphone soll stillgelegt werden! Wie können Sie da sagen, es gäbe keinen Schaden?‘
Er: ‚Aber es gibt doch das Softwareupdate! Damit wird alles gut!‘
Ihr Anwalt: ‚Aber der Verschleiß! Und der Stromverbrauch!‘
Er: ‚Nicht nachgewiesen! Sie erhalten die Urteilsbegründung per Post.‘
Der Richter macht es sich einfach. Indem er behauptet, es gäbe keinen Schaden, braucht er nicht tiefer in die Materie einzusteigen. Wo kein Schaden, da kein Schadensersatz. Wie praktisch. Er hat die Urteilsbegründung einmal ausformuliert. Seine Sekretärin muss nur noch die Namen der Kläger austauschen und die Begründung weiterleiten. So kann er Fälle im Fünfminutentakt abarbeiten.
Ich bin gespannt, wie sich der Fall meiner Freundin weiterentwickelt. Falls sie mir irgendwann nichts mehr davon erzählt, so liegt es sicher an der Schweigevereinbarung.
Wir alle sollten Smartphones dieses Herstellers einfach nicht mehr kaufen!